UAI-Erklärung: Eingefrorene Vermögenswerte, verzweifelte Afghanen – sofortiges Handeln ist erforderlich

Andrew McConnell
© UNHCR/Andrew McConnell

United Against Inhumanity (UAI) ist empört über das gefühllose Einfrieren von Vermögenswerten der afghanischen Bevölkerung im Wert von 9,1 Milliarden US-Dollar, die in US-amerikanischen und europäischen Banken gehalten werden. UAI fordert die sofortige Freigabe der Vermögenswerte Afghanistans, damit ein katastrophaler Zusammenbruch der Wirtschaft und unermessliches Leid für die afghanische Bevölkerung abgewendet werden können.

Die Machtübernahme der Taliban in Kabul im vergangenen August nach dem dramatischen Zusammenbruch der vom Westen unterstützten Regierung hat Afghanistan und die ganze Welt erschüttert.

Kein Land hat die de facto Verwaltung des sogenannten „Islamischen Emirats Afghanistan“ offiziell anerkannt. Es gibt breite Besorgnis über die Menschenrechtsbilanz der Taliban, ihre Auslegung der Scharia und ihre frühere brutale Herrschaft in Kabul vor 20 Jahren. Angriffe auf Frauen, religiöse und ethnische Minderheiten sowie die Medien zwingen Afghaninnen und Afghanen ihre Heimat zu verlassen und anderswo Schutz zu suchen. Viele Menschen sind in einem verzweifelten Versuch, sich und ihren Familien eine Überlebensmöglichkeit zu sichern, geflohen. Der Winter, die Armut, Dürre und die Hungersnot machen die Umstände nur noch schwieriger.

Das Einfrieren von Vermögenswerten verschärft die Katastrophe. Die Krise in Afghanistan kann nicht getrennt werden von dem Einfrieren von 7 Milliarden US-Dollar der nationalen Reserven Afghanistans, die bei der US-Notenbank gehalten werden, und etwa 2,1 Milliarden US-Dollar, die in europäischen Banken und anderswo liegen. Diese Vermögenswerte gehören dem afghanischen Volk. Sie bilden die Reserven der Da Afghanistan Bank (DAB), der Zentralbank des Landes.

Die wesentliche Rolle der Zentralbank. Die DAB hat seit ihrer Umstrukturierung im Jahr 2004 von einer erheblichen institutionellen Stärkung profitiert; sie funktioniert gemäß ihrem rechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmen, der unabhängige Überprüfungen umfasst. Das Einfrieren ihrer Reserven lähmt nun das Funktionieren der Bank und ihre Rolle bei der Sicherung der Rentabilität des Bankensektors. Gewöhnliche afghanische Staatsbürger, wie etwa diejenigen, die im Gesundheits- und Bildungswesen beschäftigt sind, werden nicht bezahlt und haben keinen Zugang zu ihren Lebensersparnissen. Die Liquiditätskrise hat zusammen mit der abrupten Einstellung der Entwicklungshilfe und der steigenden Inflation die Wirtschaft lahmgelegt. Viele wichtige Dienstleistungen sind zusammengebrochen, da es keinen Zugang zu Bargeld gibt, um Gehälter oder Routineeinkäufe zu bezahlen. Dies wiederum hat zu alarmierender Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Lebensgrundlagen für viele afghanische Bürger geführt. Die meisten Menschen können sich nicht mehr Grundversorgungsmittel wie Treibstoff, Lebensmittel oder Unterkunft leisten. Das Behindern der DAB, ihre wesentliche Rolle in der afghanischen Wirtschaft zu erfüllen, hat bereits zu weitreichenden Störungen im Banken- und Handelssektor geführt. Eine solche Situation wird auch humanitäre Aktivitäten ernsthaft behindern, die tiefgreifende Armut weiter verschärfen und die Bevölkerungsbewegungen über internationale Grenzen hinweg beschleunigen.

Die US-Exekutivanordnung. Die Exekutivanordnung von Präsident Biden vom 11. Februar 2022 hat Öl ins Feuer gegossen. Sie bedroht das Leben von Millionen. Indem die Hälfte des afghanischen Auslandsvermögens in Höhe von 7 Milliarden US-Dollar in den USA zum Zweck der Entschädigung der Familien der Opfer des Attentats vom 11. September isoliert werden, werden viele Menschen in Afghanistan für diese schockierenden Anschläge bestraft, an denen sie jedoch nicht beteiligt waren. Sie werden faktisch für die Ankunft der Taliban in Kabul verantwortlich gemacht.

Kollektive Bestrafung. Die USA haben über 2 Billionen (2,000,000,000,000) US-Dollar für ihre Intervention in Afghanistan ausgegeben. Sie könnten leicht das nötige Geld für die Entschädigung der Opfer des 11. September finden – die wir unterstützen – ohne die Reserven Afghanistans zu beschlagnahmen. Die kollektive Bestrafung der Menschen in Afghanistan, die keine Verantwortung tragen für die Anschläge vom 11. September oder für das Debakel, das zur Rückkehr der Taliban führte, ist moralisch verwerflich, wirtschaftlich verheerend und politisch rücksichtslos.

UAI fordert Präsident Biden und die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, alle eingefrorenen Gelder freizugeben, unabhängig davon, ob diese von der US-Notenbank oder von europäischen Banken gehalten werden. Insbesondere fordert UAI Präsident Biden auf, seine Exekutivanordnung vom 11. Februar aufzuheben und als ersten Schritt die Freigabe von monatlich 150 Millionen US-Dollar an die DAB zu genehmigen, um ihre wesentliche Rolle bei der Schaffung von Liquidität in der Wirtschaft zu erfüllen. Diese Freigaben können von internationalen Wirtschaftsprüfern überwacht werden, mit einer Option zur Beendigung bei Missbrauch durch die de facto Verwaltung. Der DAB-Prüfungsausschuss könnte somit weiterarbeiten und die DAB die Fähigkeit bewahren, ihren Aufgaben nachzukommen.

UAI fordert außerdem die Freigabe von Afghanis – der Landeswährung – im Wert von 8,5 Millionen US-Dollar, die in Polen gedruckt wurden und versandfertig waren, kurz bevor die Taliban Mitte August 2021 die Macht übernahmen. Dieses Geld wurde nach der Machtübernahme der Taliban nicht nach Afghanistan geschickt, da Verstöße gegen internationale Sanktionen befürchtet wurden. Wenn nicht sofort Maßnahmen für diese Freigabe ergriffen werden, wird die afghanische Wirtschaft weiter leiden, der Afghani, der bereits stark an Wert verloren hat, weiter fallen, die Preise steigen und das Elend der afghanischen Bevölkerung das der letzten 40 Kriegsjahre übertreffen.

Die Folgen der Tatenlosigkeit werden schnell, schwerwiegend und tödlich sein. Die Generallizenz des US Office of Foreign Assets Control (OFAC) vom 25. Februar 2022 ermöglicht eine gute Flexibilität bei internationalen Geldüberweisungen und kommerziellen Aktivitäten, geht aber nicht auf das Problem der eingefrorenen Reserven ein. Ohne Zugang zu den Reserven werden die Afghaninnen und Afghanen weiterhin unter zweistelliger Inflation und wirtschaftlicher Stagnation leiden. Wenn der Wirtschaft keine Liquidität zugeführt wird, wird Afghanistan bei vielen internationalen Verträgen in Verzug geraten. So wird zum Beispiel der Strom, der aus dem Ausland importiert wird, nicht bezahlt werden können. Die Reserven privater afghanischer Geschäftsbanken werden derzeit bei internationalen Banken gehalten. Wenn sie nicht freigegeben werden, gehen die Ersparnisse der afghanischen Bürger und die Gelder privater Unternehmer verloren. Das DAB selbst wird möglicherweise nicht mehr funktionieren. Der Schaden für die Wirtschaft wird beispiellos sein. Anders als vor 20 Jahren ist Afghanistan heute Teil einer globalisierten Wirtschaft, die in den letzten zwei Jahrzehnten stark auf den Dollar ausgerichtet wurde.

Letztendlich wird es Jahrzehnte dauern, bis sich das Land von diesem institutionellen Zusammenbruch und dieser wirtschaftlichen Krise erholt, und das trotz der enormen Investitionen, die seit 2001 in Afghanistan getätigt wurden. Wenn Beamtinnen und Beamte, von denen viele bereits vor August 2021 nicht mehr bezahlt wurden, das Land verlassen, wird es eine noch schwierigere Aufgabe sein, die Institutionen wieder aufzubauen und mit fähigem Personal zu besetzen. Wenn große ausländische Unternehmen schließen, weil sie nicht mehr in einer dysfunktionalen Marktwirtschaft und einem kaputten Bankensektor funktionieren können, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie nicht zurückkehren werden. In ähnlicher Weise steht der humanitäre Sektor vor einem harten Kampf, um lebensrettende Aktivitäten für die Hilfsbedürftigsten und Ärmsten aufrechtzuerhalten. Humanitäres Handeln ist in keinem Umfeld ein Ersatz für eine funktionierende Wirtschaft. Die Vorstellung, dass eine verstärkte humanitäre Hilfe die Folgen einer zusammengebrochenen Wirtschaft und alarmierender Verarmung ausgleichen kann, ist absurd.

Das Menschenrecht auf Nahrung ist in Afghanistan nichts als eine Traumvorstellung. Die Ernährungssicherheit ist in kurzer Zeit so stark gesunken wie noch niemals zuvor. Eine weitere Verschlechterung ist zu erwarten, wenn keine sofortigen Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, und könnte das Land möglicherweise in eine weit verbreitete Hungersnot stürzen – etwas, das es in den 40 Jahren des Konflikts in Afghanistan noch nie gegeben hat. Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Gesundheitsdienste und dem schwierigen Betriebsumfeld für Nichtregierungsorganisationen wird sich die Gesundheitssituation der Bevölkerung schnell verschlechtern. Unter anderem wird es eine erhöhte Sterblichkeitsrate und eine rasche Zunahme übertragbarer Krankheiten geben, auch durch COVID sowie der Cholera, die sich jetzt schon schnell in mehreren Provinzen ausbreitet.

Das Leben in Afghanistan wird für den Großteil der Bevölkerung noch brutaler und untragbarer werden. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass 97 % der Afghaninnen und Afghanen in den kommenden Monaten unter die Armutsgrenze fallen werden. Viele werden versuchen, das Land zu verlassen. Etliche verzweifelte Afghaninnen und Afghanen werden in Nachbarstaaten und andere Regionen aufbrechen. Einige werden versuchen, die Festung Europa zu erreichen. Anders als die Evakuierten vom August 2021 werden sie nicht willkommen geheißen werden. Solche Bevölkerungsströme werden das angeschlagene internationale Asylsystem weiter untergraben und fremdenfeindliche Tendenzen schüren.

Diese völlig vermeidbare und künstliche, von Menschen verursachte Katastrophe muss nicht andauern. Amerikanische und europäische Politiker müssen die ethische und lebensrettende Entscheidung treffen, die Menschen in Afghanistan nicht mehr zu bestrafen. Die afghanische Bevölkerung hat sich weder die jetzige de facto Verwaltung ausgesucht noch diese katastrophale Krise verschuldet, die jetzt ihr Leben bedroht.

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